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StGH 1/16 Verkündung einer Entscheidung am 10. Februar 2017

Urteil des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs im Organstreitverfahren wegen der Einsetzung des 23. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses


StGH 1/16

Pressemitteilung

zur Verkündung einer Entscheidung am 10. Februar 2017

Urteil des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs

im Organstreitverfahren

wegen der Einsetzung des 23. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat am 10. Februar 2017 sein Urteil im Organstreitverfahren wegen der Einsetzung des 23. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ("Mögliche Sicherheitslücken in der Abwehr islamistischer Bedrohungen in Niedersachsen") verkündet.

Antragsteller des Organstreitverfahrens sind 35 Abgeordnete der Fraktion der CDU und ein Abgeordneter der Fraktion der FDP im Niedersächsischen Landtag. Aus den Reihen der Opposition war im Landtag ein Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestellt worden, der prüfen und aufklären sollte, welche Hinweise, Erkenntnisse und Informationen die Mitglieder der Landesregierung über die islamistische Szene in Niedersachsen hatten, wie sie mit der islamistischen Bedrohung umgegangen sind und welche präventiven Maßnahmen die Sicherheitsbehörden ergriffen haben, um Straftaten aus diesem Bereich zu verhindern. Die Untersuchung sollte im Wesentlichen Zeiträume ab 2013 umfassen. Der Landtag hat den beantragten Untersuchungsausschuss zwar eingesetzt, mit den Stimmen der Abgeordneten der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Untersuchungszeitraum aber auf den "Beginn des Bürgerkriegs in Syrien (Anfang 2011)" erweitert. Gegen diese Erweiterung des Untersuchungszeitraums haben die Antragsteller vor dem Staatsgerichtshof einen Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens gestellt und eine Verletzung ihres Untersuchungsrechts aus Art. 27 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung - NV - geltend gemacht. Antragsgegner in diesem Verfahren war der Landtag.

Der Staatsgerichtshof hat dem Antrag stattgegeben und festgestellt, dass der Antragsgegner mit der von ihm beschlossenen Erweiterung des Untersuchungszeitraums die Antragsteller in deren Recht aus Art. 27 Abs. 1 NV verletzt hat.

Der Staatsgerichtshof hat zunächst den Einwand des Antragsgegners zurückgewiesen, dass die Oppositionsfraktionen den Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses gestellt hätten. Der Staatsgerichtshof hat festgestellt, dass der Einsetzungsantrag von einzelnen Abgeordneten der Oppositionsfraktionen in der nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 NV erforderlichen Zahl wirksam gestellt worden ist und diesen Abgeordneten auch die nachfolgenden Änderungsanträge zuzurechnen sind. Auch der Landtag ist im parlamentarischen Verfahren stets von einem wirksamen Einsetzungsantrag einzelner Abgeordneter ausgegangen. Der Landtag war danach verpflichtet, den beantragten Untersuchungsausschuss einzusetzen.

Bei einer derartigen Minderheitenenquête haben die Antragsteller die Befugnis, Inhalt und Umfang des Untersuchungsauftrags eigenständig festzulegen. Denn die parlamentarische Minderheit darf bei der Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse nicht auf das Wohlwollen der Parlamentsmehrheit angewiesen sein. Der Grundsatz der Gewaltenteilung im parlamentarischen Regierungssystem gewährleistet die praktische Ausübbarkeit der parlamentarischen Kontrolle gerade auch durch die parlamentarische Minderheit; es gilt der "Grundsatz effektiver Opposition". Dieser Grundsatz fordert, dass die parlamentarische Minderheit den Gegenstand einer von ihr beantragten Untersuchung selbst bestimmen darf. Gegen den Willen der Minderheit darf der Untersuchungsauftrag grundsätzlich nicht verändert oder erweitert werden. Ausnahmen sind nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 NV nur zulässig, wenn der Kern des Untersuchungsauftrages gewahrt bleibt und keine wesentliche Verzögerung der Untersuchung zu erwarten ist.

Der Staatsgerichtshof hat festgestellt, dass die Erweiterung des Untersuchungszeitraums gegen den Willen der Einsetzungsminderheit nicht im Einklang steht mit Art. 27 Abs. 1 NV. Die Erweiterung des Untersuchungszeitraums wahrt den "Kern" des von den Antragstellern beschriebenen Untersuchungsauftrages nicht, weil sie die Untersuchung auch auf Zeiträume erstreckt, in denen die jetzige parlamentarische Minderheit Regierungsverantwortung getragen hat. Die parlamentarische Mehrheit verändert dadurch in unzulässiger Weise die Zielrichtung des ursprünglichen Untersuchungsauftrages, mögliches Fehlverhalten der derzeitigen Landesregierung im Umgang mit der islamistischen Szene aufzuzeigen, und geht damit zu einem verfassungsrechtlich unzulässigen Gegenangriff über.

Die erhebliche Ausdehnung des Untersuchungszeitraums gestattet auch nicht die Prognose, dass "keine wesentliche Verzögerung zu erwarten ist". Aufgrund des deutlich erweiterten Umfangs der Untersuchung besteht vielmehr die Gefahr, dass der Untersuchungsausschuss seine Arbeit in der laufenden Wahlperiode nicht wird abschließen können.

Dr. van Nieuwland

Artikel-Informationen

erstellt am:
10.02.2017

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