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Urteil StGH 1, 2 und 3/15 Organstreitverfahren wegen Auskunft nach Art. 24 Abs. 1 der NV Niedersächsischer Staatsgerichtshof am 29.01.2016

StGH 1 - 3/15

Pressemitteilung


Urteil des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs
zur Frage der
"Unverzüglichkeit" von Antworten der Landesregierung auf Kleine Anfragen

Der Niedersächsische Staatsgerichtshof hat am 29. Januar 2016 sein Urteil in den drei Organklagen verkündet, die von Mitgliedern der CDU-Fraktion des Niedersächsischen Landtages gegen die Niedersächsische Landesregierung erhoben worden sind.

Gegenstand der Organstreitverfahren war die Frage, ob die Landesregierung ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur unverzüglichen Beantwortung der Anfragen von Mitgliedern des Landtages aus Art. 24 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung NV nachgekommen ist.

Die Landesregierung beantwortete eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Ross-Luttmann zum Aktenvorlageverhalten in drei Legislaturperioden nach knapp sechs Monaten (StGH 1/15) und weitere Kleine Anfragen der Abgeordneten Focke und Jahns (StGH 2/15) bzw. Focke, Jahns und Hiebing (StGH 3/15) zu Problemen der Asyl- und Flüchtlingspolitik jeweils nach gut viereinhalb Monaten. Die Abgeordneten haben in den Organstreitverfahren geltend gemacht, die Antworten der Landesregierung seien nicht "unverzüglich" erfolgt und verletzten daher ihre Rechte aus Art. 24 Abs. 1 NV. Dem ist die Landesregierung entgegen getreten und hat maßgeblich auf andere vorrangig zu erfüllende Regierungsaufgaben und den Beantwortungsaufwand hingewiesen.

Der Staatsgerichtshof hat den Anträgen stattgegeben und festgestellt, dass die Landesregierung die Kleinen Anfragen nicht unverzüglich beantwortet und daher die Abgeordneten in deren Rechten aus Art. 24 Abs. 1 NV verletzt hat.
Der Staatsgerichtshof hat erstmals die Anforderungen an die von Art. 24 Abs. 1 NV geforderte "Unverzüglichkeit" der Antwort der Landesregierung konkretisiert. Der Staatsgerichtshof hat dazu ausgeführt, dass dem parlamentarischen Fragerecht ein hoher Stellenwert zukommt. Das Fragerecht soll den Abgeordneten die notwendigen Informationen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben verschaffen und dadurch die Entwicklung von Initiativen und eine wirksame Kontrolle der Regierungstätigkeit durch das Parlament ermöglichen. "Unverzüglich" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 NV ist daher nur ein Antwortverhalten der Landesregierung, das dem Zweck des parlamentarischen Fragerechts unter Berücksichtigung konkurrierender Aufgaben der Landesregierung und ihrer personell-organisatorischen Möglichkeiten gerecht wird. Im Spannungsverhältnis zwischen Vollständigkeit und Unverzüglichkeit einer Antwort hat die Landesregierung die Recherchetiefe unter Berücksichtigung der mutmaßlichen Interessen des Fragestellers sachgerecht zu bestimmen, den Beantwortungsvorgang zweckmäßig zu organisieren und im Konfliktfall zwischen der Pflicht zur unverzüglichen Antwort und konkurrierenden Aufgaben eine verfassungskonforme Priorisierung vorzunehmen. Bei der Erfüllung und Abwägung dieser Pflichten kommen der Landesregierung Einschätzungsspielräume zu. Beantwortet die Landesregierung Kleine Anfragen innerhalb eines Monats, besteht eine Vermutung für die Unverzüglichkeit der Antwort. Im Übrigen unterliegt ihr Antwortverhalten unter Berücksichtigung der ihr eingeräumten Einschätzungsspielräume im Hinblick auf den Zeitbedarf einer Plausibilitätskontrolle. Die Landesregierung hat nachvollziehbar darzulegen, aufgrund welcher Umstände sie an einer früheren Antwort gehindert war. Die Anforderungen an die Plausibilität der darzulegenden Hinderungsgründe steigen dabei mit zunehmender Entfernung von der Monatsfrist kontinuierlich an. Andererseits sind die Abgeordneten und ihre Fraktionen gehalten, die Effektivität des wichtigen Instruments der Kleinen Anfrage durch einen nach Anlass, Anzahl und Umfang verantwortungsbewussten Umgang dauerhaft zu sichern.

In Anwendung dieser Maßstäbe erweisen sich die Antworten der Landesregierung auf die hier gestellten Kleinen Anfragen als nicht unverzüglich. Die Antworten sind nicht innerhalb der Regelfrist von einem Monat gegeben worden, ohne dass die Landesregierung die darüber hinaus benötigte Antwortdauer vollständig plausibel erklären konnte. Anhand der Bearbeitungsvorgänge der Landesregierung hat der Staatsgerichtshof vielmehr festgestellt, dass der Beantwortungsvorgang in Teilen nicht sachgerecht organisiert worden ist und auch die Prioritäten beim Einsatz der personellen Ressourcen nicht verfassungskonform gesetzt worden sind.


Dr. van Nieuwland

Artikel-Informationen

erstellt am:
29.01.2016

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